THE LIVING ATELIER
Trevor Paglen
Reports from The Second Day #1
Kuratiert von Chus Martínez
Formal Experiments with Students (Code Names), 2014
Studierende des Instituts Kunst in Zusammenarbeit mit Trevor Paglen
23. bis 26. Oktober, 2014
Ateliergebäude A 0.11, Campus der Künste
The Second Day beschäftigt sich mit Fragen der Kunstproduktion und der Forschungsarbeit auf dem Campus der Künste. Die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Institute wird in dieser neuen Situation durch die Möglichkeit des Austausches definiert. Eine Offenheit also, die durch das Entdecken der wechselseitigen Anziehungskräfte zwischen Personen und Disziplinen gekennzeichnet ist, aber auch von dem Willen, einen sozialen Raum zu kreieren, in dem verschiedene Arbeitssprachen in den Bereichen Kunst und Design ins Spiel gebracht werden.
Die Ausstellung, die wir hier präsentieren, ist etwas ungewöhnlich. Sie ist Ergebnis eines Seminars, das der US-Künstler Trevor Paglen für den Masterstudiengang und die B.A. Studierenden des dritten Jahrgangs am Institut Kunst der FHNW sowie für eine Gruppe von Studierende aus dem M.A. Studiengang der Universität Bern gehalten hat. Ausserdem waren langjährige Freunde und Mitarbeiter beteiligt. Nach einer Vorbereitungsphase, auf die ein sehr intensiver zweiwöchiger Arbeitsprozess folgte, wurden die Studierende mit ihrer eigentlichen Aufgabe vertraut gemacht: Paglens neuste Arbeit soll in Ausstellungsform präsentiert werden.
Trevor Paglen ist Medienkünstler und -forscher. Er interessiert sich für das politische Leben von Bildern. Dabei geht es ihm gerade auch darum, dass sich diese Bilder heute gewandelt haben und viele von ihnen nicht länger von Menschen hergestellt werden, sondern von Robotern, fliegenden Kameras, Drohnen oder Überwachungsapparaturen. Nachdem er sich mit der geheimdienstlichen Arbeit und verschiedenen Arten und Weisen, wie der militärische Komplex Informationen strukturiert auseinandergesetzt hat, entwickelte Paglen eine Arbeit, die aus mehr als 30.000 Code- und Tarnnamen besteht – aus Files, die zeigen, wie eine „Geheimoperation“ ungeachtet irgendeiner diesbezüglichen Zustimmung durch die bürgerliche Gesellschaft in Gang gebracht wird. Ein Code- oder Tarnname ist ein Kryptonym, das heisst ein Wort oder ein Name, das dazu benutzt wird – manchmal im Geheimen – einen anderen Namen, ein anderes Wort oder eine Person zu bezeichnen. Sie werden häufig für militärische Zwecke oder bei der Spionage eingesetzt. Code- oder Tarnnamen werden nicht deshalb verwendet, weil es schwierig oder unmöglich ist herauszufinden worauf sie sich beziehen, sondern weil sie leichter übertragen werden können – so zum Beispiel über Funkgeräte – ohne dabei zu Missverständnissen zu führen, wie das bei gewöhnlichen Namen der Fall sein kann.
Was Sie bei dieser Ausstellung zu sehen bekommen, ist die Verwandlung dieser digitalisierten Files; eine Transformation von tausenden von Namen in ein Kunstwerk, das nun den Ausstellungsraum besetzt. Sollten wir einen digitalen File ausschliesslich unter Zuhilfenahme von digitaler Technologie abbilden und so projizieren? Sollten wir Flachbildschirme nutzen (etwa solche, wie man sie vom Times Square kennt), um dann dort die Namen «herabregnen» zu lassen? Kann man diese digitalisierten Namen auf Dias übertragen und sie dann im Zuge einer Art universitär-akademischen «Vorlesung» präsentieren? Kann man sie auf 16mm-Filmmaterial festhalten?
Doch es stellten sich auch andere Frage: Warum benutzt man dieses digitalisierte Material nicht als Gegenstand einer neuen Historienmalerei? Sind diese Kryptonyme denn nicht die wahren Repräsentanten unserer Zeit? Wie im Werk des spanischen Malers Francisco de Goya, der die königliche Familie von Karl IV. respektvoll aber nicht ehrergiebig porträtierte, so konstituieren auch hier diese Code- und Tarnnamen historisches Material. Doch bestünde nicht ebenso die Möglichkeit, all diese Namen auch ganz buchstäblich zu materialisieren, sie Skulptur werden zu lassen, die dann als neue «Kunst im öffentlichen Raum» für unser erst junges Jahrhundert steht? … All diese Fragen nach dem geeigneten Format gemeinsam mit den Reflexionen, wie das Leben der Bilder für unsere Gegenwart beschaffen ist, sind ebenso Teil dieser Ausstellung wie das Endergebnis, das Sie hier zu sehen bekommen.
Diese Arbeit ist an und für sich ein Event. Ein Event, der im Zentrum des Campus stattfindet, im Zentrum jenes Bereichs, der definiert, was Kunstausbildung für das Institut Kunst sein soll. Sie wurde für diesen Anlass geschaffen und dank der Grosszügigkeit von Trevor Paglen gibt sie uns allen die Gelegenheit, sich nicht nur seinem Werk zu nähern, sondern auch dem Denken, das mit diesem untrennbar verbunden ist.
Der Titel der Ausstellung The Living Atelier bezieht sich auf The Living Theatre, eine experimentelle Theatergruppe, die 1947 gegründet wurde. Er erweist damit auf grundsätzliche Weise den Werten und der Haltung Referenz, die sich einem Lernen verschrieben hat, das aus der aktivierten Erfahrung entspringt. Diese Ausstellung unterscheidet sich daher von dem, was man sonst in einem anderen Kontext zu sehen bekommt. Hier wird nicht allein Kunst aufgeführt, sondern auch der Akt des Lernens, womit nachdrücklich die Bedeutung der Lebendigkeit unterstrichen sein soll. Lebendigkeit ist die entscheidende Frage für Kunst und Kultur. Es geht dabei um das Engagement, das die Kunst hinsichtlich des Lebens an den Tag legt, hinsichtlich der organischen Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Raum zu schaffen, in dem Teilnahme nicht heisst Regeln zu folgen, sondern der durch das Gefühl der Zugehörigkeit bestimmt wird.